In Ulrichstein machte sich die Parteibasis Luft

Ort des Geschehens am Freitagabend: Stadthalle Ulrichstein. Anlass der SPD-Unterbezirkskonferenz: Die Verhandlungen in Wiesbaden und Berlin über die Beteiligung an Koalitionen. Teilnehmende SPD-Prominenz, zuständig für „Informationen aus erster Hand“: stellvertretender Landesvorsitzender Gernot Grumbach, der Bundestagsabgeordnete Rüdiger Veit (Gießen), die Bundestagsabgeordnete Birgit Kömpel aus Eichenzell sowie Landrat Manfred Görig. Begrüßung und Moderation. UB-Vorsitzender Swen Bastian.

Oppositionsrolle umgehend angenommen

Wenige Stunden vorher war aus Wiesbaden die Kunde gekommen: CDU und Grüne wollen Koalitionsverhandlungen aufnehmen. SPD-Chef Thorsten Schäfer-Gümbel und Generalsekretär Michael Roth hatten darauf hin die Parteibasis umgehend wissen lassen: Die SPD nimmt die Oppositionsrolle „selbstbewusst, kreativ und engagiert an“.

Es nahm nicht wunder, dass angesichts dieser aktuellen Nachrichtenlage trotz widrigster Wetterlage – dichter Nebel und null Grad – viele Parteimitglieder aus dem gesamten Vogelsberg in die Stadthalle gekommen waren. Gernot Grumbach schilderte – sichtlich emotional aufgeladen – den Verlauf der Gespräche mit CDU, Grünen, Linken und FDP. Letztlich habe die SPD feststellen müssen, dass es bei allen Varianten einige nicht zu überwindende Differenzen gegeben habe. Die Grünen hätten sich klar gegen eine Minderheitsregierung ausgesprochen und seien auch in der Schulpolitik nicht bereit gewesen, notwendige Reformen mit dem Ziel größerer Bildungsgerechtigkeit anzugehen. „Schulfrieden in Hessen“ – lautet an dieser Stelle ihr Motto. Differenzen ergaben sich hinsichtlich der Ganztagsschulkonzepte, bei der Rückkehr zur sechsjährigen Mittelstufe an Gymnasien und insbesondere bei der von der SPD angestrebten KiföG-Reform, um eine weitere Benachteiligung des ländlichen Raumes zu verhindern.

Den Grünen "viel Spaß" gewünscht

Die Vogelsberger Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten quittierten an diesem Freitagabend Krumbachs Bericht keinesfalls so, wie Zeitungskommentatoren – z. B. Christoph Cuntz am Montag im Lauterbacher Anzeiger – glaubten kommentieren zu müssen. Das Verhältnis zu den Grünen sei erschüttert, „die Sozialdemokraten sind zutiefst beleidigt,“ schreibt Cuntz. Auf die Vogelsberger SPD-Basis jedenfalls trifft das nicht zu. In mehreren Redebeiträgen wurde zum Ausdruck gebracht, wie erleichtert man sei. „Der Kelch – eine Großen Koalition – ist an uns vorübergegangen“, hieß es unter anderem. Und an die Adresse der Grünen:„Viel Spaß mit der CDU“. Umgehend in die Oppositionsrolle zu schlüpfen – war für die Vogelsberger SPD-Basis kein Problem. Man wolle die Grünen jetzt jagen. Was die logische Folge und normales politisches Handwerk ist. Damit war für die Konferenzteilnehmer in Ulrichstein die hessische Landespolitik abgehakt und der Blick ging nach Berlin.

Rüdiger Veit und Birgit Kömpel berichteten über den Stand der dortigen Koalitionsverhandlungen. Noch sei nichts entschieden, es sei aber schon einiges in den Verhandlungsrunden erreicht worden. In den zahlreichen Redebeiträgen hingegen wurde an wichtige Eckpunkte des sozialdemokratischen Wahlprogramms erinnert, die nicht aufgegeben werden dürften. Der Punkt Steuererhöhung – so wurde kritisiert – sei viel zu schnell aufgegeben worden. Dass in Koalitionsverhandlungen Kompromisse eingegangen werden müssten, sei klar, aber es gebe Grenzen, die nicht überschritten werden dürften, um die Identität der SPD zu wahren.

Harte Nuss für Gabriel

Fazit: Veit und Kömpel dürfte angesichts der Stimmung in Ulrichstein klar geworden sein, dass eine Zustimmung der Mitgliedschaft zur Großen Koalition nicht leicht zu erreichen sein wird. Die Vogelsberger Genossinnen und Genossen jedenfalls hätten an diesem Abend – wäre abgestimmt worden – einer großen Koalition eine Absage erteilt. Gleichwohl war man sich einig, dass das Ende der Koalitionsverhandlungen und deren Ergebnisse abzuwarten seien, um sich abschließend für Ja oder Nein entscheiden zu können.

Nun steht am Donnerstag, 26. November, in Hofheim eine Regionalkonferenz an – einen Tag nach der Vorstellung des Verhandlungsergebnisses mit CDU/CSU. Hier – so heißt es – sei für die Basis die erste Möglichkeit, mit der Parteiführung zu diskutieren. Teilnehmen an dieser Konferenz werden Parteivorsitzender Sigmar Gabriel und Landesvorsitzender Thorsten Schäfer-Gümbel. Am zurückliegenden Wochenende fanden bereits derartige Regionalkonferenzen statt. Der Presse war am heutigen Montag zu entnehmen, dass Gabriel im rheinland-pfälzischen Ochtendung schwer um die Zustimmung der Basis zur Großen Koalition kämpfen muss. Es bleibt abzuwarten, ob er noch eine Schippe mehr drauflegen muss, wenn erst mal der Koalitionsvertrag vorliegt. Die Vogelsberger SPD setzt zur Teilnahme ihrer Mitglieder an der Regionalkonferenz in Hofheim Busse ein.

Manfred Pachten